Hoffen und warten oder glauben und vertrauen?

Wer nicht in sich geht, ist außer sich

Wir leben in stürmischen Zeiten. Wachsende Inflation, Kriegsgefahr, Naturkatastrophen, Hiobsbotschaften aus aller Welt beunruhigen uns und bringen viele in existenzielle Not. Der Ruf nach Hilfen und Lösungen wird zunehmend lauter. Die Frage ist nur, ob es wirklich hilfreich und lösungsorientiert ist, auf Hilfe zu warten und auf Lösungen zu hoffen. Der Wunderheiler Bruno Gröning sagte einmal: „Es heißt, dass der Glaube Berge versetzt. Aber haben Sie sich schon selbst davon überzeugt?“(1)

Die einen warten darauf, dass die Politik zur Vernunft oder die „Richtigen“ an die Schalthebel kommen, die anderen auf einen Retter, der Licht in die Dunkelheit bringt. Die einen hoffen, alle mit der „falschen“ Ideologie mögen mundtot gemacht werden, die anderen, das Jüngste Gericht möge beginnen und für Gerechtigkeit sorgen. Die einen hoffen, dass sie nach ihrer Pensionierung das Glück finden, die anderen, dass sie im Lotto gewinnen. Die einen warten auf das nächste Fußballevent, die anderen auf den nächsten Urlaub. So unterschiedlich diese Hoffnungen, Wünsche und Ziele auf den ersten Blick aussehen, sie sind es nicht. Nicht in ihrem Ursprung. Sie haben nämlich etwas gemeinsam: das Hoffen und Warten. Und wer hofft und wartet, verrät, dass er nicht glaubt und vertraut.

Wer nicht vertraut, muss warten
Das Wort „vertrauen“ leitet sich von „trauen“ ab und geht auf den Wortstamm „treu“ zurück(2). Allein schon die Etymologie weist auf einen wichtigen Zusammenhang hin: Wer sich selbst nicht treu ist, traut sich nicht, sich selbst, anderen oder dem Leben zu vertrauen.
Die Unfähigkeit zu vertrauen ist fast immer die Folge einer psychischen oder seelischen Verletzung, die auf Verarbeitung und Auflösung wartet. Oft ist uns nicht einmal klar, dass wir Probleme mit dem Vertrauen haben oder dass es überhaupt ein Problem ist. Negativprogramme, die durch unaufgelöste seelische Verletzungen entstehen, sind uns in der Regel nicht bewusst. Sobald sie aber ins Licht des Bewusstseins geholt werden, beginnt die Heilung der Verletzung.
Die Grundursache von Vertrauensproblemen liegt in der Untreue des Menschen sich selbst gegenüber. Wer aufgrund von Negativprogrammen von seinem wahren Wesen (und seiner Berufung) abweicht und entsprechend denkt, spricht und handelt, wird sich untreu. Er orientiert sich nicht mehr an seinem wahren Wesen. Wenn dies geschehen ist, braucht es Mut, um zurück ins Vertrauen zu finden: Man muss sich wieder trauen, sich selbst treu zu sein. Erst dann kann man sich, den Mitmenschen und dem Leben vertrauen.
Bis es soweit ist, wartet die seelische Verletzung auf Heilung und Auflösung, und solange uns das nicht bewusst ist, wird das Warten auf die Außenwelt oder andere Menschen projiziert. Man wartet auf Hilfe, auf Veränderung der Gesellschaft, auf den richtigen Lebenspartner, auf den gewünschten Frieden, auf den Aufstieg in die fünfte Dimension, kurzum, man wartet auf eine Zukunft, die andauernd auf einen zu-, die aber nie ankommt, zumindest nicht so, wie man es sich vorstellt.

Jeder glaubt an irgendetwas
Das mit dem Glauben ist heutzutage schon ein Kreuz. Wer glaubt, weiß nichts, sagt man. Ich halte dagegen: Das meiste, was wir heute zu wissen glauben, ist kein Wissen. Das Wort „wissen“ geht zurück auf das indoeuropäische „woida“, das ursprünglich „ich habe gesehen“ bedeutete(3). Man darf davon ausgehen, dass mit Ich-habe-gesehen kein Blick in die Nachrichten oder Schulbücher gemeint war, sondern das tatsächliche Sehen, das körperliche Anwesenheit während eines Ereignisses voraussetzt. Wenn die alten Indoeuropäer etwas in den Nachrichten gehört oder in Zeitungen oder Büchern gelesen hätten, hätten sie vielleicht „Mir wurde erzählt“ gesagt, aber sicher nicht: „Ich habe gesehen“ (= „Ich weiß“), sonst hätten sie gelogen. Die Aussage „ich weiß“ ist in den meisten Fällen also nicht zutreffend, weil wir die wenigsten Dinge, die uns beigebracht, erzählt und berichtet werden, wirklich selbst gesehen haben oder nachprüfen können.
Fazit: Wir müssen an den Wahrheitsgehalt des Erzählten glauben. Wir glauben also in allen Fällen (angefangen mit dem Glauben an unser Denken).
Nun stellt sich die Frage, warum wir einigen Erzählungen mehr Glauben schenken als anderen. Vielleicht deswegen, weil manche Erzählungen unser Hoffen befeuern und unserem Warten entgegenkommen? Die Übertragung (Projektion) unseres inneren ungelösten Konflikts auf die Außenwelt wird genährt. Wir hoffen weiter, dass das Gute, auf das wir warten, bald im Äußeren eintritt, aber an das Gute als bereits in uns existent können wir nicht glauben, weil wir uns selbst nicht vertrauen.

Wer nicht in sich geht, ist außer sich
Ob wir Informationen annehmen und an deren Wahrheitsgehalt glauben, sollten wir nicht von einem Gefühl abhängig machen. Unsere Gefühle können täuschen, solange wir unaufgelöste seelische Verletzungen haben, die uns ins Warten und Hoffen versetzen. Und wer von uns kann behaupten, frei von Negativprogrammen zu sein?
Unser wahres Wesen ist von Natur aus auf die Wahrheit ausgerichtet. Es sucht unablässig nach der Wahrheit und möchte sie dann auch an andere weitergeben. Jeder, der uns seine Informationen verkaufen will, trägt diese gute und edle Absicht in sich. Leider legen sich die Negativprogramme der unaufgelösten inneren Konflikte über unser wahres Wesen und seine guten Absichten, und so kommt es zu einer Verfälschung oder Vermengung in Sachen Motivation. Häufig sind es unterdrückte Minderwertigkeitsprobleme, die Menschen dazu bringen, in der Öffentlichkeit oder bei Freunden und Bekannten Bestätigung und Anerkennung zu suchen. Auch Existenzängste spielen eine große Rolle, wie etwa bei Menschen, die verbissen, abschätzig und oft sogar hasserfüllt gegen andere Meinungen, Konfessionen oder Weltbilder, die ihre Ideologie gefährden, zu Felde ziehen. Wenn Zuhörerschaft und Nachfrage steigen, kann das dazu führen, dass Aussagen immer spektakulärer werden, was dem Wahrheitsgehalt nicht dient.
Sobald sich derartige Negativprogramme in die Ur-Motivation „Wahrheitssuche“ und „Wahrheitsverbreitung“ mischen, geht es den Informanten nicht mehr um die Sache an sich. Sie bewegen sich im Bereich von falscher Information und Selbsttäuschung. Darum tun wir gut daran, nicht zu vergessen, dass Informationen Handelswaren sind. Statt uns in diesen Waren zu verlieren, blicken wir in unser eigenes Inneres. Fragen wir uns, warum wir manchen Informationen mehr glauben als anderen. Fragen wir uns, ob wir wegen bestimmter Erzählungen auf irgendetwas warten und hoffen. Wenn ja, wissen wir, dass wir Opfer unseres Negativprogramms geworden sind. Wir waren nicht bei uns, sondern außer uns.

Wer nicht glaubt, muss hoffen
Wenn wir unreflektiert etwas glauben, ist das immer heikel. Was dann fehlt, ist die Gewissheit. Denn wir sehen nur, was wir glauben. Unser Glaube beschränkt unsere Sicht oder erweitert sie. Ziehen wir als Beispiel die Erforschung des Universums heran, die heute u. a. darin besteht, dessen materielle Bestandteile zu untersuchen. Die Interpretation der Untersuchungsergebnisse basiert zwangsläufig auf dem Glauben des Forschers. Wenn er daran glaubt, dass ausschließlich Materie existiert, wird er die Ergebnisse anhand dieses Weltbilds interpretieren, formulieren und publizieren. Wenn er an einen multidimensionalen Kosmos glaubt, wird die Interpretation ganz anders ausfallen. Ist ihm bewusst, dass er nur glaubt, aber keine Gewissheit hat, wird er offen sein für andere Meinungen und Interpretationen. Verwechselt er seinen Glauben mit Gewissheit (oder Wissen), dann ist seine Sicht beschränkt und er wird große Mühe haben, sich auf abweichende Ansichten einzulassen. Er sieht nur, was er glaubt. Aber nur, weil er das, was er glaubt, überall sieht, bedeutet das noch lange nicht, dass sein Glaube damit bewiesen ist.

Der Feldzug gegen den Glauben („Wer glaubt, weiß nichts“) hat nur bewirkt, dass den Menschen nicht mehr bewusst ist, dass ihr Glaube ihr Leben prägt. Wie kann jemand, der nicht weiß, dass er glaubt, seinen Glauben überprüfen? Die entscheidende Frage ist somit nicht, ob wir glauben, sondern woran wir glauben. Niemand möchte absichtlich an etwas Schlechtes glauben, aber viele tun es unbewusst.
Mit unserem Glauben bestimmen wir unsere Weltsicht, und deshalb sollten wir uns immer wieder sagen: „Überprüfe deinen Glauben. Glaube an das Gute. Und dann bleibe diesem Glauben treu, bleibe im Vertrauen, um dem Guten die Chance zu geben, sich als Wahrheit zu offenbaren.“ Wer diesen Glauben nicht hat, muss hoffen, und Hoffen ist immer Ausdruck von Zweifel und Ungewissheit.

Ausrichtung auf das Gute
Vertrauen und Glauben waren auch die zentralen Schlüsselbegriffe Bruno Grönings. Er geriet 1949, vier Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, in die Schlagzeilen. Berichte über einen Wunderheiler machten die Runde unter den traumatisierten und versehrten Menschen Deutschlands. Das damalige Hoffen und Warten nahm für Tausende ein Ende, denn sie fanden in Gröning jemanden, der sie aus dieser Haltung erlöste. Tagtäglich geschahen Wunder, Gelähmte standen auf, Blinde konnten sehen, Unheilbare wurden gesund. Kaum ein Ereignis dieser Art ist so gut dokumentiert wie das „Phänomen Bruno Gröning“. Zahlreiche Berichte und Zeugenaussagen belegen seine Wunderheilungen (Heilungen auf geistigem Weg).
Was war damals geschehen? Glaubten und vertrauten die Menschen, so dass sie bereit waren für jemanden mit Bruno Grönings Fähigkeiten? Gröning wiederholte in seinen Vorträgen und in seinen Gesprächen immer wieder:

„Wenn Sie heute noch nicht glauben können, will ich es für Sie tun, bis Sie wirklich glauben.“(4)

Nicht alle, die bei Bruno Gröning eine Heilung erfuhren, glaubten und vertrauten. Viele von ihnen kamen als Schaulustige zu ihm, andere als Zweifler, wieder andere, weil sie einen Scharlatan entlarven wollten. Ehe sie sich versahen, gehörten sie oft selbst zu den Geheilten, und das größte Wunder von allen geschah: Sie begannen zu vertrauen und zu glauben. Sie hatten Wunderheilungen gesehen oder an sich selbst erlebt. Wie konnten sie nicht vertrauen und glauben?
Was Bruno Gröning ihnen gegeben hatte, war weit mehr als eine körperliche Heilung. Er holte sie aus der Warten-und-Hoffen-Haltung heraus und versetzte sie in die Lage, vertrauen und glauben zu können. Er gab ihnen einen Vorschuss und glaubte an ihrer statt für sie, damit sie anschließend selbst glauben konnten.
Er betonte immer wieder, dass die Menschen ihm nicht einfach blind glauben, sondern seine Worte prüfen sollen. „Es heißt, dass der Glaube Berge versetzt. Aber haben Sie sich schon selbst davon überzeugt?“ Die Heilung war nur ein Anfang, eine Initiation. Die Menschen sollen an sich selbst, an das Leben und an das Gute glauben.

„Ich will nur eines: dass Sie das Selbstvertrauen und den Glauben zurückerlangen, den Glauben an das Gute.“(5)

Diese Bewusstseinshaltung lässt sehr wenig Raum für Projektionen. Sie verlangt die andauernde Ausrichtung auf das Gute und damit ein Nach-Innen-Gehen, eine beständige und aufrichtige Selbstreflexion. Unsere Gedanken, Worte und Handlungen sollen vom Guten geprägt sein, alles Schlechte wird konsequent abgewiesen, egal ob es von außen an uns herangetragen wird oder uns selbst entspringt. Wir bleiben allzeit bei uns und entscheiden bewusst, welche Gedanken und Emotionen wir annehmen und welche nicht. Wenn wir uns entscheiden, uns vom Negativen nicht beeinflussen zu lassen („Das nehme ich nicht an!“), sprechen wir ihm nicht die Existenz ab, wir ignorieren es auch nicht, wir geben ihm nur keine Energie mehr und hören somit auf, es zu nähren.
Warten und Hoffen lösen sich im Hier und Jetzt auf, wenn wir beharrlich und diszipliniert alles überprüfen, was wir denken, sagen und tun. Das Vertrauen in das Gute beginnt zu wachsen, und mit dem zunehmenden Vertrauen gelangen wir wieder in die Verfassung, glauben zu können.

Hören wir mit dem Hoffen und Warten auf. Wohin uns diese Haltung gebracht hat, zeigt sich heute auf der Weltbühne auf eindrucksvolle Weise. Warten und Hoffen binden uns an Äußerlichkeiten, sie machen uns abhängig von Ereignissen, anderen Menschen oder Versprechungen. Vertrauen und Glauben erlösen uns von diesen Anhaftungen. Wenn wir vertrauen und glauben, ruhen wir in uns, und nichts kann uns diese innere Ruhe nehmen, selbst wenn das Schlimmste eintritt. Und wer weiß, vielleicht verändert sich die Weltlage sogar zum Guten, wenn wir anders denken, sprechen und handeln – wahrscheinlich wird die Veränderung nicht so sein, wie wir uns das aufgrund unserer Negativprogramme vorgestellt haben, aber ganz bestimmt wird sie zum Wohl aller sein.

„So rufe ich all denen, die es angeht, zum Abschluss zu: Vertraue und glaube!“(6)

 

© 2023, Melanie Risi-Meier

Quellen:
(1) Bruno Gröning, „Ich gebe Ihnen zu wissen“. Thalmassing, Kreis für natürliche Lebenshilfe e.V., 1. Auflage 2015, Seite 27

(2) Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, [vertrauen], https://www.dwds.de/wb/vertrauen
(3) Wikipedia, [Wissen], https://de.wikipedia.org/wiki/Wissen
(4) Bruno Gröning, „Ich gebe Ihnen zu wissen“. Thalmassing, Kreis für natürliche Lebenshilfe e.V., 1. Auflage 2015, S. 30
(5) ebd. S. 26
(6) ebd. S. 31