Schattenbereich der Normalität

Übersinnlich begabt oder psychisch krank?

Der Protagonist meines Para-Romans „Levi“ nimmt Dinge wahr, die andere nicht wahrnehmen. Ihm erscheinen Wesen, die ihm Ratschläge geben, er sieht Schatten, die an Menschen „saugen“, er hat Zukunftsvisionen. Als Levi 13 Jahre alt ist, diagnostizieren Ärzte eine Psychose, er kommt in psychiatrische Behandlung. Er aber ist überzeugt, dass er nicht krank ist und alles Wahrgenommene der Realität entspricht. Damit stellt der Roman eine entscheidende Frage: Könnten manche Menschen, die als psychisch krank eingestuft werden, in Wahrheit übersinnlich begabt sein?

Vor elf Jahren hatte ich ein Nahtoderlebnis. Das war für mich so einschneidend, dass ich mit anderen darüber sprechen wollte, was keine gute Idee war. Im besten Fall ignorierten die Menschen meine Worte einfach, im schlechtesten Fall wurden sie aggressiv. Es dauerte ein Weilchen, bis ich begriff, warum das so war. Sie hatten Angst. Aber sie fürchteten sich nicht vor dem Tod, wie ich zuerst dachte, sondern davor, dass meine Erzählung plausibel sein und ein Umdenken von ihnen erfordern könnte. Sie wollten in ihrem Leben, in dem sie sich eingerichtet hatten, nicht gestört werden. Und das traf sowohl auf jene zu, die an spirituellen Themen interessiert waren, als auch auf die, die an nichts dergleichen glaubten.
Das Nahtoderlebnis hat mein Leben auf den Kopf gestellt. Nichts war danach noch so wie zuvor. Deshalb verstehe ich diese Menschen heute sehr gut. Damals musste ich jedoch das Erlebte verarbeiten und integrieren, und wie das so meine Eigenart ist, geschah dies u. a. in Form des Schreibens.
Wenige Monate nach dem Erlebnis setzte ich mich hin und fing an, den Roman „Levi. Schattenbereich der Normalität“ niederzuschreiben, in dem die Frage nach der Übereinstimmung von Wahrnehmung und Wirklichkeit das zentrale Thema ist. Dabei konstruierte ich den Roman nicht, das tue ich nie. Vielmehr „öffne“ ich mich geistig, und dann erscheinen vor meinem inneren Auge Bilder, die ich so authentisch wie möglich wiedergebe. Levi ließ mich auf diese Weise an seiner Geschichte teilhaben, und zum ersten Mal stellte auch ich mir ganz bewusst die Frage: übersinnlich begabt oder psychotisch? In diesem Artikel möchte ich der Frage nachgehen.

Das Wort „Psychose“ ist ein Grundbegriff aus der Psychologie, der schwere psychische Störungen meint, in denen die Betroffenen den Bezug zur Realität verlieren. Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Denkstörungen, das sind drei der Symptome für dieses Krankheitsbild. Wer plötzlich Stimmen hört, die sonst niemand hört, oder Dinge sieht, die sonst keiner sieht, oder ungewöhnliche Interessen entwickelt, beispielsweise für Spiritualität oder Magie, der zeige Anzeichen für eine Psychose, heißt es. (1)
Damit können wir feststellen, dass die Psychologie als akademische Wissenschaft kategorisch davon ausgeht, dass Menschen, die mehr wahrnehmen als andere, psychisch krank sein müssen bzw. den Bezug zur Realität verloren haben.
Aber auf welcher Definition von Realität beruht diese Diagnose? Sind wirklich alle relevanten Faktoren berücksichtigt worden, damit eine solch maßgebliche – und für die Betroffenen lebensverändernde – Schlussfolgerung gemacht werden kann?

Nahtoderlebnisse sind keine Einbildungen
Wie bereits gesagt, ist ein Nahtoderlebnis prägend. Die Folgen sind fundamental, selbst für jemanden, der bereits Interesse für Spiritualität gezeigt hat. Was man dabei erlebt, kann man nicht einfach mit Erklärungen wie „Einbildung“ oder „Halluzination“ abtun. Die innere, individuelle Beziehung zum Leben verändert sich beim Gros der Betroffenen auf tiefgehende Weise zum Positiven, der Mensch ist danach ein anderer. Eine Halluzination dagegen ist flüchtig und oberflächlich, und wenn überhaupt, dann verändert sie den Menschen eher zum Negativen.
Besonders in Sachen Nahtoderfahrungen liegen heute eine ganze Reihe von gut dokumentierten Forschungen und Studien vor. Dass das Phänomen existiert, steht außer Frage, aber dessen Bedeutung und Echtheit sind umstritten.
Bei einer Nahtoderfahrung verlässt die Seele den physischen Körper und geht auf „Wanderschaft“ in den feinstofflichen Dimensionen, so die Erklärung der Betroffenen. Die offizielle Wissenschaft sagt, das seien Einbildungen, die vom Gehirn ausgelöst werden, etwa weil es mit Sauerstoff unterversorgt oder anderweitig in der Funktion beeinträchtigt war. Tatsache bleibt, dass jeder seriöse Forscher, der sich mit Nahtoderfahrungen befasst, am Ende von deren Echtheit überzeugt ist. Pioniere wie Dr. Elisabeth Kübler-Ross oder Dr. Raymond Moody belegen mit ihren Arbeiten zur Sache Tausende von Fällen, und das sind nur zwei Beispiele. Betroffene wie Anita Moorjani oder Dr. Eben Alexander legen in ihren Büchern eindrucksvolle Berichte von Nahtoderlebnissen vor, und auch das sind nur zwei Beispiele aus einer langen Reihe von lesenswerten Publikationen. Eben Alexanders Gehirn war aufgrund einer Krankheit nachweislich funktionsunfähig, man wollte schon die Maschinen abstellen. Aber dann geschah eine Spontanheilung und er erwachte aus dem Koma. Die Annahme, das Gehirn erzeuge die Halluzination einer Nahtoderfahrung, wird also allein durch sein Beispiel widerlegt; und es gibt viele weitere Beispiele wie dieses.
Wissenswert für die wissenschaftliche Überprüfung ist, dass sich die Nahtoderfahrungen sehr voneinander unterscheiden, die meisten aber gewisse Merkmale gemeinsam haben: ein helles Licht, auf das der Betroffene zufliegt; ein Tunnel, durch den er reist; geliebte oder bekannte Verstorbene, die ihn abholen; das Erscheinen eines engelhaften Wesens, das weiterhilft und oft Liebe ausstrahlt; das Hinunterblicken auf den eigenen Körper, und so weiter. Betroffene aus allen Kulturen, allen Alters und allen Gesellschaftsschichten, Gläubige wie Ungläubige, berichten davon. Und was sie während ihres Erlebnisses wahrnehmen, erweist sich im Nachhinein als real. Sie können berichten, was beispielsweise Notärzte taten und besprachen, und manchmal begegnen sie während der Nahtoderfahrung sogar Verstorbenen, von denen sie nicht wussten, dass sie tot sind.
Für die Echtheit von Nahtoderfahrungen als außerkörperliche Reisen gibt es weit mehr Indizien und Beweise als dagegen. Dagegen steht im Grunde nur die besagte Theorie, die angesichts der Beweislast blass und mickrig aussieht – und doch ist sie offiziell und allgemein anerkannt.

Sind Hellsichtigkeit und Medialität Symptome einer psychischen Krankheit?
Medialität und Hellsichtigkeit gibt es wahrscheinlich, seit es Menschen gibt. Zu allen Zeiten fielen Individuen auf, die über besondere Fähigkeiten verfügten. Astrologen, Propheten, Hellseher, Wunderheiler, aus jeder dieser und vieler weiterer Kategorien kennen wir mindestens eine Prominenz, die es geschafft hat, auch über längere Zeit im kollektiven Gedächtnis zu bleiben. Und das ist nur die Prominenz. Hinter ihrem „Scheinwerferlicht“ bleiben all jene verborgen, die im Stillen wirkten und wirken.
Heute gibt es weltweit unzählige spirituelle Lichtarbeiter wie Heiler, Jenseitsmedien, Channels, Kartenleger usw. Was ist mit all diesen vielen Hunderttausend Menschen? Sind sie alle psychotisch und gehören therapiert und medikamentiert?

Die Parapsychologie befasst sich mit derartigen Phänomenen. Wie die Nahtodforschung hat auch sie einige Jährchen und Erkenntnisse auf dem Buckel. Sie hat es sich zum Ziel gemacht zu ergründen, ob, wann und unter welchen Bedingungen Menschen zu außersinnlicher Wahrnehmung oder zu mentaler Einwirkung auf die Materie fähig sind (sog. Telekinese; z. B. durch Gedankenkraft einen Gegenstand bewegen). In diesem weiten Feld gibt es, wie überall, sowohl seriöse Forschungen als auch unseriöse. Die unseriösen Fälle werden mit Vorliebe von der Presse aufgegriffen und verbreitet, die seriösen im besten Fall ignoriert. Das mag der Grund für den allgemein schlechten Ruf sein, den die Parapsychologie hat. Dabei wurden sogar an Universitäten Professuren für Parapsychologie eingerichtet, wie etwa 1954 durch Prof. Dr. Hans Bender in Freiburg. 1998 kam dann allerdings das Aus für diesen Lehrstuhl. 2019 wurden auch der Parapsychologischen Beratungsstelle in Freiburg (Gründung 1989 durch Walter von Lucadou, einem Schüler von Bender) die staatlichen Fördergelder gestrichen und die seit 2013 erhaltenen Zuwendungen zurückgefordert, worüber in einigen alternativen Medien berichtet wurde. Der politische Trend ist klar ersichtlich.

Ähnlich wie bei den Nahtoderfahrungen zeigen sich in diesen und weiteren Forschungen Übereinstimmungen bei den Fähigkeiten und Erfahrungen der Menschen. Medien, die Kontakt zu Verstorbenen aufnehmen können und dies unabhängig voneinander tun, dabei jedoch dieselbe Zielperson „im Visier“ haben, berichten anschließend dasselbe oder sehr Ähnliches über den Verstorbenen. Sogenannte Wunderheilerinnen und Wunderheiler (Menschen, die auf feinstofflicher Ebene an eine Heilung herangehen) diagnostizieren bei demselben Probanden dieselben Ursachen für dessen psychisches oder physisches Unwohlsein. Sogenannte Remote Viewer können mittels Fernwahrnehmung vermisste Personen ausfindig machen oder exakt beschreiben, wie es an bestimmten Orten auf der Welt aussieht, ohne dass sie je dort gewesen sind. Hellsichtige, die zuvor noch nie Kontakt zu einem Probanden hatten, können detailreiche Vorkommnisse aus dessen Lebensgeschichte erzählen …
Lange Rede, kurzer Sinn: All diese Phänomene lassen sich wunderbar empirisch untersuchen. Die bisherige Forschung bietet ein breites Fundament an Möglichkeiten, auf denen aufgebaut werden könnte.
Ob Menschen wie Levi wirklich psychisch krank sind oder nicht doch übersinnlich begabt, könnte also recht einfach herausgefunden werden, wenn man nur wollte. Leider ist unsere heutige Realität aber eine andere.

Levi ist kein Einzelfall
Das grundlegende Problem, das eine ergebnisoffene, freie Forschung verhindert, ist die philosophische Theorie, es gebe nichts anderes als Materie (Materialismus). Wenn das stimmt, gibt es weder Nahtoderfahrungen noch Hellsichtigkeit, denn all das setzt das Vorhandensein von anderen (feinstofflichen) Dimensionen voraus. Aber es existiert laut Materialismus nur die materielle (grobstoffliche) Dimension. Da diese Denkrichtung heute vorherrscht, wird zwanghaft versucht, alle auftretenden Phänomene durch sie zu begründen, und wenn dabei noch so fragwürdige und gefährliche Erklärungen herauskommen, wie etwa der Glaube, Menschen mit Interessen für Spiritualität und Religiosität seien eventuell geistig krank. Dieser Gedanke ist nicht neu, er trat in extremer Form auf der politischen Bühne bereits in Erscheinung und kostete Zehntausende von Menschenleben. Dass er nun wieder auftaucht, ist alarmierend, zumal er heute weltweite Anerkennung findet.

Müssen wir angesichts so vieler Indizien und Nachweise, die darauf hindeuten, dass es mehr gibt als sichtbare Materie, nicht anfangen umzudenken? Ich finde, es ist höchste Zeit. Was die dominierende Glaubensüberzeugung des Materialismus anrichten kann, habe ich im eigenen Leben erfahren, wenn auch in relativ harmlosem Ausmaß. Ich hatte das Glück, dass wenige nahe Bezugspersonen mir glaubten, und so konnte ich zu mir und dem Erlebnis stehen.
Aber was ist mit den vielen Menschen, die dieses Glück nicht haben? Was ist mit denen, die übersinnlich begabt sind und fälschlicherweise für psychisch krank gehalten werden? Wie viele der Menschen in psychiatrischen Einrichtungen sind in Wahrheit gesund und bräuchten nur fachkundige Hilfe von der richtigen Stelle, zum Beispiel von einem seriösen, erfahrenen hellsichtigen Medium? Was ist mit Krankheitsbildern wie ADS und ADHS? Wo sind hier die Grenzen zwischen übersinnlicher Begabung und psychischen Dissoziationen? Kann eine übersinnliche Fähigkeit, die irrtümlich als Krankheit diagnostiziert wurde, durch die falsche Therapie und Medikation zu einer psychischen Beeinträchtigung führen? Ja, ich möchte sogar soweit gehen und fragen, ob manche Medikamente nicht sogar übersinnliche Fähigkeiten vermindern oder blockieren.
All das sind Fragen, die wir uns stellen und um deren Beantwortung wir bemüht sein sollten, und das unvoreingenommen, also abseits jeglicher Ideologien und Glaubensvorstellungen. (Das Vorhandensein von Spinnereien und Unfug in der „spirituellen“ Szene ist nicht ein Argument gegen feinstoffliche Dimensionen, sondern eines für die Notwendigkeit umfassender Auseinandersetzungen damit.)

Für mich steht fest, dass die Rätsel des Lebens und der menschlichen Psyche noch längst nicht gelöst sind. Levi ist mit seinen Fähigkeiten kein Einzelfall, keine Ausnahmeerscheinung, auch wenn er eine fiktive Figur ist. Die Welt ist voller „Levis“, und es ist an der Zeit, dass unsere Gesellschaft lernt, mit ihnen umzugehen.

 (1) Quelle: https://www.psychenet.de/de/psychische-gesundheit/informationen/psychosen.html

© 2022, Melanie Risi-Meier